Kaiserliche Marine
U-Boote der Kaiserlichen Marine weit im Atlantik
Am 28.11.2012 wendet sich Enkel des Kapitäns des bewaffneten Handelschiffes S.S. Myrtle Branch, John McClelland, aus England an uns und fragt nach möglichen Operationen von U-Booten der Kaiserlichen Marine sehr weit im Nordatlantik , da er Augenzeugenberichte von zwei Begegnungen des Schiffes seines Großvaters auf dessen Fahrt vom kanadischen Halifax nach Liverpool mit U-Booten hatte, und zwar am 22.05.1917 auf 50 °23´Nord und 27 °54´ West und am 25.05.1917 auf 52° 16`Nord und 15° 30´West. Bei der ersten Begegnung am Abend des 22.05.1917 sei es nach mehreren Augenzeugenberichten dem bewaffneten Handelsschiff mit seinem Heck-geschütz sogar gelungen, auf dem vermeintlichen U-Boot nach dessen fehlgeschlagenem Torpedoangriff Treffer in dessen Turm zu erzielen, so dass dieses zunächst Backbordschlagseite gewann und dann nach 3 Minuten ganz versank. Kapitän McClelland wurde wegen dieses Erfolges sogar eine der höchsten britischen Auszeichnungen verliehen, das „Distinguished Service Cross“.
Auf derselben Fahrt wurde die Myrtle Branch dann angeblich einige Tage später am Morgen des 27.05.1917 wieder von einem U-Boot mit Torpedo angegriffen, dessen Laufbahn die Myrtle Branch aber ausweichen konnte und dem U-Boot dann entkommen konnte. Wir prüften die KTB von deutschen U-Booten an beiden Tagen sowie die Zusammenfassungen aus dem Admiralstabswerk „Der Krieg zur See 1914-1918/ Der Handelskrieg mit U-Booten“ und konnten feststellen, dass zu beiden Zeitpunkten nur SM U 19 und SM U 46 im Seegebiet zwischen den Shetlands und Norwegen sowie SM U 87 westlich und südlich Irland operierten. Im Übrigen ergaben die Überprüfungen der Positionsmeldungen der kaiserlichen U-Boote bis zum Frühjahr 1917, dass Einsätze von U-Booten in den Atlantik hinaus nicht bis zum 15. und schon gar nicht bis zum 27. Längengrad West gegangen waren. Erst die sogenannten „U-Kreuzer“ fuhren dann bis zu den Azoren, vor die Ostküste der USA und bis vor Westafrika. Erstes U-Boot war SM U 155 (ex Handels-U-Boot Deutschland), das in Deutschland am 23.05.1917 ausgelaufen war.
So standen die Aussagen britischer Augenzeugen gegen unsere Ermittlungen und ein weiterer Fall von eigentlich überzeugenden Erzählungen gegen nachweisbare Fakten war damit geboren, wobei auch wir nicht im Besitz aller Dokumente zum Einsatz deutscher U-Boote sind und deshalb ehrlicherweise bei unseren Auskünften immer einen entsprechenden Vorbehalt anmeldeten.
Der Enkel von Kapitän McClelland jedenfalls zeigte sich angesichts der „Beweislage“ am Ende bereit, seine Bewertung der angeblichen Begegnungen der Myrtle Branch mit U-Booten im Atlantik von „bestätigt“ auf „ungeklärt, vermutlich irrtümliche Sichtungen“ zu revidieren, was für alle Seite die wohl akzeptabelste Schlussfolgerung ist. Zudem: Wie verhält es sich mit dem Kapitän McClelland verliehenen „Distinguished Service Cross“, etwa eine nachträgliche Aberkennung? Dieses würde für einige Ereignisse in den Seekriegsoperationen sowohl im Ersten als auch Zweiten Weltkrieg eine Pandora-Box von unbekannten Ausmaßen öffnen und ein mögliches Umschreiben bislang feststehender marinegeschichtlicher Begebenheiten erfordern.
Recherche und Textbeitrag: Peter Monte – Deutsches U-Boot-Museum