Flugzeugangriff auf U 516 im Dezember 1943

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Im Mai 1995 erhielt das Archiv ein Schreiben von Captain (USN Ret) Pascol Judson Townsend Jr. aus den USA, der als ehemaliger Kommandant den Angriff auf U 516 flog und nun nach noch lebenden Besatzungsmitgliedern des Bootes suchte. Da das Archiv seine vornehmliche Aufgabe in der Zusammenführung ehemaliger Gegner sah, wurden noch lebende Kameraden angeschrieben und um eine Stellungnahme gebeten. Das ehemalige Besatzungsmitglied Dr. Godehard Pollakowski – seines Zeichen Stabsarzt an Bord – schrieb dann den nachfolgenden Brief an Mr. Townsend, den wir hier zur Kenntnis geben wollen:

Eine seltene Farbaufnahme: U 516 (links) mit zwei anderen IX C-Booten in Bergen vor dem Auslaufen zur ersten Feindfahrt am 17.08.1942

Dear Mr. Townsend,

Ihren Wunsch, mit einem Besatzungsmitglied von U 516 Verbindung aufzunehmen, will ich gerne entsprechen. Ich heiße Godehard Pollakowski (Arzt, 83 Jahre alt) und war bei der fraglichen Unternehmung auf U 516 als Sanitätsoffizier mit dabei.

Unser Boot (Typ IX C ohne Schnorchel) hatte damals etwa 50 Mann Besatzung, darunter 5 Offiziere. Am 19. Dezember 1943 – einem Sonntag – wurde das bis dahin in der Karibik erfolglose operierende deutsche U Boot U 516 bei einem Angriff durch ein feindliches US- Flugzeug schwer beschädigt und dem Untergang nahe gebracht. U 516 hatte das feindliche Flugzeug zu spät bemerkt und konnte nicht rechtzeitig genug untertauchen um sich zu retten. Noch während des Tauchvorganges fielen die Wasserbomben. In einem solchen Augenblick ist ein U-Boot immer wehrlos den Angriffen aus der Luft ausgesetzt. Die Bomben waren gut gezielt und müssen dicht am Boot detoniert sein. Wir hörten drei ohrenbetäubende Detonationen, die unser Boot erschütterten und an Bord alles durcheinander wirbelten. Die Elektromotoren standen still und damit auch die Schiffsschrauben. Die Beleuchtung fiel aus: Finsternis im Bootsinneren, während das Boot fast senkrecht in die Tiefe stürzte.

Wassereinbruch durch das Turmluk, das vom Detonationsdruck hochgeschleudert wurde und durch zwei Risse im Druckkörper (eines vor dem Turm, über der Kombüse, der andere achtern über dem Maschinenraum). Die Verwüstungen im Inneren des Bootes waren unbeschreiblich: alles schien kaputt zu sein, soweit die trübe Notbeleuchtung einer Taschenlampe erkennen ließ. Jetzt sah man auch, dass fast jeder von uns durch herumfliegende Scherben und Splitter mehrfach verletzt worden war. Viel Blut floss über nackte Oberkörper denn bei den hohen Temperaturen im Boot von ca. 50° Celsius konnte man es nur halbnackt aushalten, zum Glück waren es nur oberflächliche Fleischwunden.

Die weitgehend beschädigten Akkumulatoren lieferten nicht genügend Elektrostrom um die Bootsschrauben anzutreiben, das Boot war somit manövrierunfähig. Es gelang dem Leitenden Ingenieur Phillip Lichtenberg das steil sinkende Boot, das sich unter Wasser jetzt nicht mehr rühren konnte, in großer Tiefe aufzufangen und in die Schwebe zu halten. Die Mannschaft war mit ihren Kräften fast am Ende, denn es herrschte Sauerstoffmangel und außerdem war die stickige Atemluft mit schädlichen Gasen beladen. Einige Männer fallen vorübergehend ohnmächtig um. Gleichwohl ging es an die Arbeit, jeder Mann auf seinem Posten. Der LI (Leitende Ingenieur) gab überlegend und ruhig seine Anweisungen, und es gelang tatsächlich das Boot notdürftig zu reparieren.

Wie soll es weitergehen? Der Gedanke aufzutauchen wurde fallen gelassen. Das Auftauchen hätte wohl kaum einer von uns oder nur sehr wenige überlebt, das wussten wir wohl. Über unserem getauchten schwerbeschädigten Boot warteten feindliche Kräfte, Flugzeuge, Zerstörer, U-Bootjäger auf unser etwaiges Auftauchen, was sofort einen Feuerüberfall auf uns von allen Seiten provoziert hätte. Wir waren in einem raffinierten Ortungsnetz eingesponnen, wir hörten die feindlichen Ortungsgeräusche an die Bordwand klopfen. Wie das wegschleichen aus der tödlichen Umklammerung und die Rettung gelang, ist eine nahezu unwahrscheinliche technische Höchstleistung des Leitenden Ingenieurs Phillip Lichtenberg in Verbindung mit den großartigen navigatorischen Fähigkeiten des Kommandanten Hans Tillesen.

Soweit der Bericht des Dr.med. G. Pollakowski ( Sanitätsoffizier) von U 516.

Die Flakbewaffnung von U 516: eine 2-cm-Flak-Vierling 38 sowie zwei 2-cm-Flak-Zwilling 38

Das U-Boot operierte in der östlichen Karibik und stand seit dem 23.08.1943 in See. Auch Tage vorher war das Boot einigen Flugzeugangriffen ausgesetzt, und auch an diesem 19.12.1943 wurde U 516 bereits in der Nacht um 02:16 Uhr von einem Flugzeug mit Scheinwerfern angeflogen und schwer gebombt. Das Flugzeug wurde bei einer Entfernung von 800-1.000m Entfernung gesichtet, mit dem Befehl äußerste Kraft voraus, versuchte das Boot schnell Fahrt aufzunehmen um dem Angriff zu entkommen, sofort wurde auch die Flak besetzt was aber wirkungslos blieb, der Kommandant schrieb später im Kriegstagebuch von kümmerlichen Ergebnissen der eigenen Flak. Gleichfalls stand aber das Boot unter starkem Bordwaffenbeschuss des Flugzeuges und es fielen an Steuerbord voran 3 Fliebos, die das Boot erheblich erschüttern ließen. Der Leitende Ingenieur meldete das Boot tauchklar und es ging sofort mit Alarmtauchen auf 110 m. In der sicheren Tiefe wurden dann folgende Ausfälle festgestellt:

  1. Hochdruckflaschenguppe 7 an Oberdeck undicht und leergeblasen
  2. Bordventil Flaschengruppe 8 im Boot stark undicht
  3. Wasserstandsglas Backbord-Regelbunker geplatzt. Bunker stand unter 12 atü Druck, daher starker Druckanstieg im Boot
  4. Ausfallen Steuerbord Dieselluftschachtes. Kopfventil macht stark Wasser

Die Ausfälle 2-4 wurden nach dem Absetzen beseitigt. Im weiteren Verlauf des Tages wurden im Gruppenhorchgerät laufend schnelle und hohe Schraubengeräusche verfolgt. Auf Grund der Auswanderungen und der laufend Wiederkehr der Peilungen schließt die Bootsführung darauf, dass das Boot von Bewachern nun verfolgt wurde, um Strom zu sparen wurde nicht auf Sehrohrtiefe gegangen. Gegen 16:40 Uhr tauchte das Boot auf und setzte seine Fahrt zum Aufladen der die Batterien fort, gefahren wurde mit 2-mal Halbe Fahrt, bei guter Sicht entschloss sich der Kommandant gleichzeitig von der Besatzung zur Überholung der Flak.
Um 17:25 Uhr erfolgte dann der schon beschriebene Angriff, der bei weiterem schwerere Schäden verursachte als der erste Angriff an diesem Tag und dieser brachte das Boot und seine Besatzung in eine bedrohliche Lage.

Kommandant Hans Tillesen schrieb dazu im KTB (Kriegstagebuch):

Der Anflug der feindlichen Maschine erfolgte aus der Sonne, das Boot geht mit Alarmtauchen auf Tiefe. Als das Boot sich auf einer Tiefe von 10m befindet fallen von Steuerbord Achteraus bis in Höhe des Turmes 3 Fliebos. Im Boot kommt es zu schwersten Erschütterungen mit unmittelbaren Ausfällen.

  1. Zwei Risse im Druckkörper von 20 und 10 cm Länge. Leichter Wassereinbruch
  2. H.D. Luftflaschengruppe II leergelaufen
  3. Bordventil H.D. Luftflaschengruppe V stark undicht.
  4. Durchschlagen der Gummidichtung am Wasserstandsglas des Bb-Regelbunkers. Bunker stand unter Druck
  5. Haltungskonsole des Seitenrudermotors im Heckraum gerissen.
  6. Umschaltgestänge von 1,5 auf 6 fache Vergrößerung am achtern Sehrohr gerissen.
  7. Bordventil “Fluten Torp. Zellen 1 und 2“ innen abgerissen.
  8. Abreißen des Rulahahnes der Entlüftung 4-5 aus seiner Halterung.
  9. Festsitzen, bzw. Schwergängigkeit folgender Organe:
    • Beide Abgasausblaseschieber Tauchbunker IV sitzen fest
    • Stb. Abgasausblaseschieber Tauchbunker VII halb geöffnet
    • Entlüftungsschieber Tauchbunker VII halb geöffnet
    • Flutklappen der Tauchbunker II Stb., IV Bb., VII Stb. halb geöffnet
    • Entlüftung „Wasserdichte Back“
  10. Starker Schluß in der Batterie und in der gesamten E – Anlage
  11. Magnetkompass ausgefallen.

Ausfälle die später auftraten, aber auch auf die Angriffe zurückzuführen sind:

  1. Zwei Risse in der Tauchzelle VIII und dadurch selbstständiges Entlüften der Zelle.
  2. Flaschengruppen VI und VIII leergelaufen. Die Befestigungsschellen der Flaschen waren gerissen, wodurch die losen Flaschen bei Seegang die Luftzuführungsleistungen abrissen.
  3. Reißen der Abdichtung der Stb.-Wellendurchführung in der Trinkwasserzelle I. Dadurch Wassereintritt in dieser Zelle und Ausfall derselben.

Beim Anflug der Maschine aus der Sonne war dieselbe sehr schwer auszumachen gewesen. In diesem Zusammenhang steht eine starke Entfernungsverschätzung, die beinahe dem Boot zum Verhängnis geworden wäre. Der Angriff hätte über Wasser abgewehrt werden müssen.

Soweit der Kommandant mit dem Schadensbericht nach dem feindlichen Flugzeugangriff und der kritischen Beurteilung zum Verhalten nach dem Sichten des Flugzeuges. Nach Aufforderung über den Standort und den Brennstoffbestand des Bootes gibt das Boot folgenden Funkspruch ab.

Ausgang FT: 2137/30/358
Verschossen, Versenkt 8. EL 3156 Fahrgastfrachter 5.500 BRT. 16 EC 9235 Zaunkönig auf 10.000 BRT. Tanker, 18 sm nach 6 Min.29 sec. Treffer Achterschiff. Anschließend umgelegt. ED 1747 Zaunkönig auf Zerstörer fehl, geklärt ED 1948 gebombt, erhebliche Ausfälle, bleibe beschränkt tauchklar. Erbitte dringend „Borkum“ und 2 Zaunkönige. 32 cbm. Stehe DQ 7851.Mar.Qu.

Die Antwort des BdU lautet:

An „Tillessen“

  1. Gut gemacht. Ich verlange von Dir Hannes, daß Du mit größter Vorsicht gem. Ermahnungs-FT Nr. 70 marschierst.
  2. Versorgung mit Zaunkönig nicht möglich. Versorgung mit Brennstoff und Borkum für Rückmarsch etwa zwischen dem 15. und 20. Jan im Mar. Qu.CG 50 vorgesehen. Von dort nicht weitermarschieren, sondern versorgendes Boot abwarten

Oberbefehlshaber.

U 516 beim Einlaufen in Lorient am 26.02.1944

Mit dem Entkommen aus der Karibik am 24.12.1943 war der Leidensweg von U 516 noch lange nicht beendet. Der Rückmarsch über den Atlantik zum Einsatzhafen Lorient brachte für das nur noch beschränkt tauchfähige und auch sonst sehr aktionsbehinderte U-Boot neue Schrecken. Proviant und Brennstoff waren verbraucht und müssten ergänzt werden. Bei dem per Funkspruch befohlenem Treffen mit dem zur Versorgung bestimmten U 544 waren
schon britische Flieger zur Stelle und versenkten U 544, noch ehe es U 516 zu Gesicht bekam.
Eine weitere Versorgung – diesmal durch U 539 – gelang endlich beim dritten Versuch, wieder wurden die Boote durch Flugzeuge überrascht, aber diesmal gelang es beiden Booten rechtzeitig wegzutauchen und der anschließenden Verfolgung mit Wasserbomben zu entgehen. Danach wurde dann der ersehnte Rückmarsch in den sicheren Hafen von Lorient angetreten.

Sanitätsoffizier Dr. med. Pollakowski schrieb dazu:

Ende Februar 1944 lief U 516 in den Hafen von Lorient ein. Mit den letzten Tropfen Treibstoff und dem letzten Rest an Nahrungsmittel. Ausgehungert, schwach, müde und elend ging die Besatzung hier an Land. Endlich wieder festen Boden unter den Füßen und endlich nach so langer Zeit ca. ½ Jahr ohne die ständige tödliche Bedrohung. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl erfüllte uns alle. Das ganze Unternehmen / Karibik von U 516 hatte somit 6 Monate gedauert, mit Auslaufen aus dem U-Bootstützpunkt Lorient August 1943 und der Rückkehr dorthin Februar 1944, davon ca. 4 Wochen in der Karibik, dem eigentlichen und für U 516 unter dem Kommandanten Tillesen erfolgreichen Operationsgebiet.

Am Ende des Schreibens wird es sehr persönlich, was im Nachhinein dem erfolgreichen Versuch der gewünschten Zusammenführung ehemaliger Gegner eindeutig belegt.

Dear Mr. Townsend!

Auch Sie haben im Krieg als Soldat und Pilot sicherlich Todesängste erleiden müssen. Wir beide – Sie und ich – haben als Soldaten das Glück gehabt, den Krieg zu überleben. Ich danke Ihnen für Ihr Mitgefühl und Ihre guten Worte, mit denen Sie uns – die einstigen Gegner – angesprochen haben. Ebenso wie Sie bin ich der Meinung, daß wir uns als Freunde fühlen könnten. Wir wollen nicht an das Denken was uns trennt, sondern an das, was uns verbindet, das ist der Wunsch und die Hoffnung: Nie wieder Krieg.

Verden, im September 1995

Mit freundlichen Grüßen, Ihr Dr. Godehard Pollakowski

Text: Thomas Klemm – Fotos: Deutsches U-Boot-Museum

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