Die Zusammenführung

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U 707, U 336 und die Jonathan Sturges – Ein Beispiel für die Zusammenführung ehemaliger Gegner

Im Oktober 1985, also in einer Zeit, als ich hier noch mit alten Methoden, ohne Computer und ohne unsere heutigem technischen Möglichkeiten arbeitete, erhielt ich von Bundesverteidigungsministerium die Anfrage eines Amerikaners aus den USA.

Er war Besatzungsmitglied des 7.156 BRT US Liberty-Schiffes Jonathan Sturges unter dessen Kapitän Thorbjörn Leerberg, das von einem deutschen U-Boot versenkt worden war. 41 Tage (!!!) lang trieb er dann mit zunächst 7 Mann in einem Rettungsboot im Atlantik, bevor die Überlebenden 6 Seeleute von einem deutschen U-Boot aufgenommen wurden, welches sie mit in ihren Stützpunkt Brest nahm, von wo aus sie in ein Kriegsgefangenenlager bei Bremen überführt wurden.

OlzS Günter Gretschel - Kommandant von U 707 (gefallen am 09.11.1943)
OlzS Günter Gretschel – Kommandant von U 707 (gefallen am 09.11.1943)

Nun wollte er wissen, welches U-Boot die Jonathan Sturges versenkt habe, und vor allem, welches U-Boot sie gerettet habe. Jetzt begann hier eine kriminalistisch zu nennende Kleinarbeit. Wie gesagt, die heutigen Möglichkeiten hatte ich noch nicht – und auch noch nicht so viele qualifizierte Helfer.

Die Jonathan Sturges – das hatten wir in unserem U-Boot Archiv dokumentiert – war am 24.02.1943 auf der Position 46°15´N und 038°11`W durch 2 Torpedotreffer von U 707 unter Oberleutnant zu See Günter Gretschel auf dessen 1. Unternehmung (12.01.1943 Kiel aus – 08.03.1943 St.Nazaire ein) als Nachzügler des Konvois ON-166 (Liverpool-New York) auf halbem Wege von Europa nach Amerika versenkt worden. U 707 wurde dann am 09.11.1943 auf seiner 4. Unternehmung östlich der Azoren von einem britischen Flugzeug selbst versenkt, es gab keine Überlebenden von der 51-köpfigen Besatzung. Doch welches deutsche U-Boot hatte die amerikanischen Seeleute später gerettet?

Jetzt begann die Kleinarbeit: Auf einer Seekarte markierte ich den Versenkungspunkt. Aus Seehandbüchern ermittelte ich die Strömungsrichtung und -geschwindigkeit des Golfstroms und koppelte so ein nordostwärtig gelegenes Seegebiet, in dem sich das Rettungsboot nach 41 Tagen hätte befinden können. Aus den bei uns im Archiv vorhandenen Unterlagen mussten jetzt die U-Boote herausgefunden werden, die zur fraglichen Zeit in dem Seegebiet bei etwa 50°N und 020°-025°W operiert hatten. Ich kam so auf 8 bis 10 mögliche U-Boote.

Nächster Schritt: Wir hatte damals noch keine Papierkopien von Kriegstagebüchern und auch noch längst nicht alle Mikrofilmrollen mit den von den USA nach Kriegsende abfotografierten Kriegstagebüchern. Gerade von den infrage kommenden U-Booten war nur wenig Material vorhanden.

KptLt Hans Hunger - Kommandant von U 336 (gefallen am 04.10.1943)
KptLt Hans Hunger – Kommandant von U 336 (gefallen am 04.10.1943)

Ich hatte aber tausende von Kontakten mit ehemaligen U-Bootfahrern. Nun rief oder schrieb ich die noch lebenden Kameraden von den U-Booten an, die auf den von mir ermittelten Booten gefahren sind und schilderte die Suchanfrage. Ich war schon kurz davor verzweifelt aufzugeben, da reagierte ein ehemaliger U-Bootfahrer, der Mechanikermaat Edwin Schimming aus Rendsburg, mit einem Brief vom 05.01.1988: „Ja, das waren wir!“ Er war damals an Bord von U 336 auf dessen 3. Unternehmung (02.03.1943 Brest aus – 11.04.1943 Brest ein), und schrieb, wie er damals durch Zufall auf der Brücke gewesen sei, als das Rettungsboot gesichtet wurde und die 6 vollkommen salzüberkrusteten und halb verdursteten amerikanischen Seeleute an Bord seines U-Bootes gebracht wurden. Das war am 05.04.1943, also wirklich 41 Tage nach der Versenkung von deren Schiff – und es war auf Position 50°20´N und 025°50´W. Meine Berechnungen hatten also gestimmt! Nachträglich konnte ich das später in dem uns dann im Archiv zur Verfügung stehenden Kriegstagebuch von U 336 nachvollziehen. U 336 wurde übrigens auf seiner 5. Feindfahrt am 05.10.1943 in der Dänemark-Straße ersenkt, von der 50köpfigen Besatzung überlebt niemand.

Was mich nun besonders glücklich machte, war die ein weiteres Mal gelungene Möglichkeit, ehemalige Gegner und deren Angehörige zusammenzuführen und zu Freunden werden zu lassen.

Leider war die Freude im Fall der Jonathan Sturges zu früh: Als ich einem Freund des U-Boot Archivs in den USA das gute Ergebnis meiner Nachforschungen und eine Einladung von mir und jenem ehemaligen Besatzungsmitglied von U 336 übermitteln wollte, war der amerikanische Seemann der Jonathan Sturges inzwischen verstorben. So wird er hoffentlich im Mariner-Himmel seine Antwort bekommen und dort seinem Retter begegnen, der nämlich auch bald verstorben ist.

Text: Horst Bredow (20.07.2012) – Fotos: Deutsches U-Boot-Museum