Anmerkungen zur ENIGMA
Artikel aus dem Jahrbuch 2009 – Seite 77 ff.
von Wolfgang Beeck
Späte Ehrung – Denkmal für polnische Kryptologen
Für viele ehemaligen U-Bootkameraden musste es eine bittere Erkenntnis gewesen sein, dass viele ihrer Einsätze in der Schlacht im Atlantik durch die Entschlüsselung der eigenen Funksprüche durch den Geheimdienst der Alliierten bekannt waren – mit schlimmen Folgen. Dies alles trotz der Beteuerung der vorgesetzten Dienststellen, den BdU eingeschlossen, dass die ENIGMA absolut „einbruchsicher“ sei – selbst wenn es dem Gegner gelänge, eine Schlüsselmaschine zu erbeuten. Seit Öffnung der Archive Ende der 70er Jahre wissen wir, das und wie dies mehrfach gelang, nachzulesen in zahlreichen Publikationen, die von alliierten Geheimdienst-Mitarbeiten veröffentlicht wurden. Hierbei war in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, dass dem Geheimdienst im Bletchley Park (BP) nordwestlich von London, zuerst gelungen sei, das „Geheimnis ENIGMA“ zu lüften.
Es ist das Verdienst von W.Korzaczuk, das er unter Verwendung von neuestem Archivmaterial über die Tätigkeit des polnischen Geheimdienstes und seiner bekanntesten Mitarbeiter M. Rejewski, J. Rozyki und H. Zygalskij mit einem Buch mit dem deutschen Titel „Geheimoperation Wicher“ an die Öffentlichkeit trat. Als Studenten der mathematischen Fakultät der Uni Posen wurden sie 1932 zu Kryptologen ausgebildet und von diesem Zeitpunkt an speziell mit der Entschlüsselung deutscher Funksprüche beschäftigt.
Zu Ehren der 3 Kryptologen und deren Verdienste im II. Weltkrieg errichtete die Stadtverwaltung in Posen 2007 ein Denkmal. Die Abbildung des Denkmals wurde dem Verfasser von der Stadtverwaltung Posen als Ablichtung zur Verfügung gestellt.
Marian Rejewski, 1905 in Bromberg geboren, studierte ab 1924 Mathematik an der Universität in Posen. Nach der Magisterprüfung 1929 setzte er sein Mathematikstudium für ein Jahr an der Universität in Göttingen fort. Ab Oktober 1930 war er Dozent am Mathematischen Institut der Universität Posen. Zusammen mit seinen beiden Kollegen entwickelte er Hilfsmittel (Zyklometer, Bomba), die die Entschlüsselung der Funksprüche erleichterten.
Rejewski fand die Verdrahtung aller 5 Schlüsselwalzen heraus. Unterstützung hierbei bekamen sie vom französischen Geheimdienst, mit dem ein Gedanken- und Erfahrungsaustausch stattfand. Vor Kriegsbeginn übergaben die Polen ihr gesamtes Material, einschließlich einem ENIGMA-Nachbau dem englischen Geheimdienst im Bletchley Park. Dort wurden die Entschlüsselungsarbeiten der ENIGMA-Funksprüche erfolgreich fortgeführt.
Action this day…
Wenn Mitarbeiter einer geheimen militärischen Dienststelle, in vorliegendem Fall die Zentrale des britischen Geheimdienstes im Bletchley Park im Herbst 1941, dem amtierenden Premierminister Sir Winston Churchill einen persönlichen Brief schreiben, kommt diesem Schreiben eine besondere Bedeutung zu. Absender war der Mathematiker Alan M. TURING, dem späteren Erbauer des ersten Computers. In seinem Schreiben, das von 3 weiteren Kryptologen unterzeichnet war, äußerte er seine Besorgnis darüber, dass sie auf Grund fehlendem Personals, unzureichender Ausstattung mit technischen Hilfsmittel und mangelnder Koordinierung in ihrer Behörde nicht mehr in der Lage seien, ihre Tätigkeit entsprechend den Erfordernissen auszuführen.
Churchill kannte Turing von einem Besuch im BP im Sommer 1941. Churchill der der Geheimdiensttätigkeit eine große Bedeutung zumaß, reagierte spontan: „Action this day!“. Erst 30 Jahre, nach Öffnung der britischen Archive wurde bekannt, welche Anstrengungen die Alliierten unternahmen, in den deutschen Funkschlüssel einzubrechen um der U-Bootgefahr zu begegnen. Dies zeigte sich 1942, als im Februar die 4.Walze (Griechenwalze) für die ENIGMA eingeführt wurde, worauf der britische Geheimdienst bis Dezember blind war! Die Folge: 1.094 Handelsschiffe mit 5.8 Millionen BRT versenkt (Jan.-Dez.)!
Quelle: Hodges, Andrew; Alan Turing-The Enigma, Simon & Schuster, 1983, S.160 ff.
Persönliche Anmerkung: Der mir vorliegende Prospekt über den Bletchley Park, Ausgabe 2007, gibt die Mitarbeiterzahl im BP Ende des 2. Weltkrieg mit 8.500 an.
Bezüglich der 4.Walze gibt es ein interessantes Detail: Die 4.Walze mußte in dem vorhandenen Einbauraum in der ENIGMA untergebracht werden. Dies war nur möglich, wenn die Walze selbst schmäler als die vorhandenen drei Walzen war und die Umkehrwalze ebenfalls schmäler wurde. Allerdings war die 4.Walze nur drehbar auf die vorhandene Welle aufgesteckt, eine Mitnahme um 1/26 bei Tastendruck – wie bei den vorhandenen Walzen – war nicht vorgesehen! Die 4.Walze war also nur eine „Durchgangswalze“ und hatte auf die Periode (26*26*26) keinen Einfluss! Ein Vorteil für die Entschlüssler im BP, wie diese sehr schnell herausfanden.