Das Paten-Boot

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Die Stadt Forst (Lausitz) und sein Paten-Boot U 455

von Wolfgang Klaue – Mitglied des FTU

Schon lange kannten die italienischen Fischer bei der Halbinsel Portofino im Ligurischen Meer vor Genua eine Stelle, an der sie regelmäßig ihre Netze verloren. Irgendein Wrack musste da unten liegen, an dem sich das Tauwerk verfing. Auch kursierten seit dem Krieg Gerüchte über ein versunkenes deutsches U-Boot. Doch die Tiefe von knapp einhundertzwanzig Metern machte das Tauchen dort lange Zeit unmöglich. Erst die Entwicklung spezieller Gas-Luft-Gemische als Atemgas in den letzten Jahrzehnten ermöglichte jetzt das Vordringen auch in solche Tiefen.

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Steil ragt der Bug des U-Boot-Wracks empor, deutlich zu erkennen sind seitlich die vorderen Tiefenruder. Foto:Lorenzo del Veneziano

Nachdem Fischer auch von Öltropfen auf der Meeresoberfläche an immer der gleichen Stelle berichteten, nahmen sich die Männer der Genueser Tauchbasis unter Leitung von Lorenzo del Veneziano der Sache an. Schließlich fanden Lorenzo del Veneziano und Roberto Rinaldi in einer Tiefe von 118 m ein Wrack von beeindruckender Größe, das anhand der Abmessungen noch relativ leicht als deutsches U-Boot vom Typ VIIc aus dem zweiten Weltkrieg zu erkennen war. Die Außenhaut war erstaunlich intakt, so daß zunächst der Grund für den Untergang völlig unklar war.

Doch um welches U-Boot handelte es sich? Äußerlich war der Bewuchs mit Muscheln so stark, daß keinerlei spezifische Kennung sichtbar war. Bootsnummern zeigte man während des Krieges ohnehin nicht mehr. Ein Eindringen in das Bootsinnere verbot sich von selbst, denn schließlich handelt es sich hier ja um ein Kriegsgrab, andererseits erlaubt die doch recht kurze mögliche Tauchzeit in solchen Tiefen auch keinen Einstieg. Wie also kann so ein Wrack identifiziert werden? Erste Nachforschungen ergaben, daß weder in alliierten noch in deutschen Unterlagen dort in der Gegend ein U-Boot-Verlust verzeichnet ist.

Wie also kam dieses Boot dort hin? Nur wenige U-Boote gelten heute noch als verschollen, so daß sich die Suche zunächst leicht eingrenzen ließ. Schließlich wuchs die Vermutung immer mehr, daß es sich nur um U 455 handeln könnte, ein Boot, welches damals allerdings vor der algerischen Küste operierte. Dort gab der Kommandant eine letzte Positionsmeldung ab und kündigte den Rückmarsch an. Dies war das letzte Lebenszeichen von U 455. Daher vermutete man bisher die Untergangsstelle auch viel weiter südlich.

Um den eigenen Verdacht zu bestätigen, nahmen die italienischen Taucher Kontakt auf zu zwei französischen Historikern, Luc und Marc Braeuer, die bei St.Nazaire ein kleines Weltkriegsmuseum betreiben und sich seit langem intensiv mit der Historie der dortigen deutschen U-Boot-Bunker und der damaligen Besatzungszeit beschäftigen. Mit ihrer Hilfe gelang es schließlich, durch intensive Recherchen in Werksunterlagen, im Bundesarchiv und im Deutschen U-Boot-Museum Cuxhaven-Altenbruch über verschiedene Bootsdetails nachzuweisen, dass es sich bei dem gefundenen Wrack eindeutig um U 455 handelt.

Auch um diese intensive Suche zu finanzieren, wurde über die gesamte Aktion ein Film gedreht, der im Herbst 2013 auch im ZDF und bei ARTE gesendet wurde, U 455 – Auf den Spuren eines U-Boots, Regie führte Stéphane Bégoin. Bei den Recherchen fanden Luc und Marc Braeuer im U-Boot-Bunker von St. Nazaire eine große Tafel, auf der „Forst“ steht. Zunächst konnten beide nichts damit anfangen. Das Studium der Kriegstagebücher von U 455 ergab den Hinweis, daß die Stadt Forst kurz nach der Indienststellung am 21. August 1941 die Patenschaft über das U-Boot U 455 übernommen hatte. Solche Tafeln wurden in der Werft verwendet, um die U-Boote zu kennzeichnen, aber gleichzeitig die wahre Identität vor den zahlreichen französischen Werftarbeitern zu verheimlichen. Diese sollten weder die wirkliche Bootsnummer noch den Namen des jeweiligen Kommandanten kennen. Eingeweihte verstanden den Hinweis auf die Patenstadt sofort. Für ihren Film suchten Luc und Marc Braeuer auch nach eventuell noch lebenden Besatzungsmitgliedern. Da während der relativ langen Einsatzzeit des Bootes von August 1941 bis zu seinem Untergang im April 1944 doch zahlreiche Besatzungsmitglieder auf andere Boote kommandiert wurden, war die Wahrscheinlichkeit dafür gar nicht mal so gering. Siebzig (!) Jahre nach Indienststellung fanden sie noch zwei der Männer, die einstmals auf diesem Boot fuhren. Gerhard Schwarz, damals Maschinenmaat auf U 455 und Helmut Spitzer, gleichfalls zu jener Zeit Maschinenmaat, waren 2012 die wohl letzten noch lebenden Besatzungsmitglieder dieses Bootes. Helmut Spitzer kam erst im August 1943 an Bord, nachdem durch eine Diphtherieerkrankung etliche Männer ausfielen.

Marc Braeuer, Gerhard Schwarz, Helmut Spitzer und Luc Braeuer (v.l.) in Kiel-Laboe vor U-995 im Mai 2012 Foto: Luc Braeuer
Marc Braeuer, Gerhard Schwarz, Helmut Spitzer und Luc Braeuer (v.l.) in Kiel-Laboe vor U-995 im Mai 2012 Foto: Luc Braeuer

Doch hatten beide das Glück, noch vor der letzten Fahrt abkommandiert zu werden. So konnten beide in diesem Film über ihre Zeit auf U 455 berichten. Da ich Luc und Marc Braeuer gut kenne, kamen wir bei einem Treffen auf die Frage zu sprechen, warum gerade die Stadt Forst damals die Patenschaft übernommen hatte. Der damalige Kommandant, Heinrich Giessler, war Berliner, auch sonst war kein Forster an Bord. Welche Beziehung hatte also die Stadt Forst gerade zu diesem U-Boot? Es sind aber Fotos überliefert, die eindeutig das Wappen der Stadt Forst als Mützenemblem und Bootswappen zeigen:

An der linken Seite wurde als Mützenemblem die damals noch vierendige Hirschstange als Wappen von Forst (Lausitz) getragen. Foto: Deutsches U-Boot-Museum
An der linken Seite wurde als Mützenemblem die damals noch vierendige Hirschstange als Wappen von Forst (Lausitz) getragen.
Foto: Deutsches U-Boot-Museum

Auch im Kriegstagebuch von U 455 findet sich ein Eintrag, welcher eindeutig die Patenschaftsbeziehungen belegt. Eine Erklärung dafür scheint einleuchtend:

Als der damalige Ritterkreuz- und Eichenlaubträger Günter Prien Anfang Dezember 1940 von seiner neunten und vorletzten Fahrt mit U 47 zurückkehrte, war sein Boot fast schrottreif. Schier endlos die Liste der gemeldeten Ausfälle an Technik, so war eine mehrmonatige Werftliegezeit absehbar. Dies ermöglichte eine längere Urlaubszeit für die Besatzung, die allerdings für Prien durch die staatliche Propaganda mit sogenannten „Repräsentationspflichten“ recht deutlich eingeschränkt wurde. (Die Besatzung hatte überwiegend noch weniger Glück, die wurde bald bis auf eine Handvoll Leute als „Erfahrungsträger“ auf andere, neue Boote verteilt). Für private Besuche blieb da doch wenig Zeit, auch wenn Prien die meiste Zeit zusammen mit seiner Frau reisen konnte. Am 16. Januar 1941 war das Ehepaar Prien letztmalig bei seiner Mutter in Leipzig, kurz danach nutzten die beiden die Gelegenheit, Verwandte seiner Frau im nicht allzu weit entfernten Forst zu besuchen. Ein solcher Besuch eines so hoch dekorierten Kriegshelden wurde natürlich sofort von der dortigen Parteiprominenz wie ein Staatsbesuch ausgeschlachtet und so dürfte es auch dadurch in Forst zum Bestreben geführt haben, eine Patenschaft für ein U-Boot zu übernehmen.

Forst stand damit nicht allein da, schon 1937 etwa hatte der Kreis Lübben die Patenschaft über ein anderes Boot – U 32 – auf Vermittlung des damals bekannten Buchautoren und U-Boot-Kommandanten des ersten Weltkrieges Freiherr Edgar Spiegel von und zu Peckelsheim übernommen. Da lag es nahe, den aktuellen hochdekorierten U-Boot-Kommandanten um einen ähnlichen Gefallen zu bitten. Derartige Patenschaften wurden damals zwar oft über „Beziehungen“, etwa zur Heimatstadt des Kommandanten, vermittelt, konnten aber auch durch einfache Bewerbung einer Stadt ähnlich wie etwa heute bei der Deutschen Marine beantragt werden. Sicher war eine möglichst prominente Fürsprache damals sehr hilfreich. Genau auf diesem Wege scheint Forst auch zu „seinem“ U-Boot gekommen zu sein. Unterstützt wird diese These durch einen Zeitungsartikel im „Forster Wochenblatt“ vom 11.02.2011. Dort schildert Wolfgang Reichmuth aus Frankfurt (Oder) seine Kindheitserinnerungen an eben diesen Prien-Besuch in Forst:

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Forster Wochenblatt vom 11.02.2011, das Autogramm zeigt den 21.Januar 1941 als Besuchstag

Üblich war es damals, die Patenschaftsurkunde zur Indienststellung zu unterzeichnen, dazu reiste gewöhnlich eine Delegation der Stadt- und Parteiprominenz zur Werft, um an der Indienststellungszermonie teilzunehmen. Später, oft bei längerer Werftliegezeit, fand dann ein Gegenbesuch einer Abordnung der Besatzung statt. Zwar sind auf den erhaltenen Fotos von der Indienststellung keine Zivilisten erkennbar, doch dürfte es sich auch in diesem Fall so zugetragen haben.

Was war U 455 nun für ein U-Boot, und welches Schicksal hatte es?

Feierliche Indienststellung von U 455 am 21 August 1941, der Kommandant Kapitänleutnant Hans-Henrich Giessler spricht zur Besatzung
Feierliche Indienststellung von U 455 am 21 August 1941, der Kommandant Kapitänleutnant Hans-Henrich Giessler spricht zur Besatzung

 

Gebaut bei den Deutschen Werken in Kiel, begann Ende August 1941 die Ausbildung auf dem Boot. Kommandant war der damals schon dreißigjährige Hans-Heinrich Giessler. Für einen U-Boot-Fahrer war er damit bereits recht alt. Nach vier Fahrten, wobei lediglich zwei Schiffe versenkt wurden, wurde er daher Ende 1942 schon wieder abgelöst. Im November 1942 übernahm dann Hans-Martin Scheibe Boot und Besatzung, allerdings auch nicht mit mehr Erfolg. Nur ein kleinerer Dampfer wurde 1943 dem Boot zugerechnet, der auf eine von U 455 gelegte Mine vor Casablanca lief.

Nach vier Atlantik-Fahrten kam dann Anfang 1944 der Befehl zum Durchbruch ins Mittelmeer. Die Alliierten waren in Italien gelandet und deren Nachschub aus Afrika sollte unterbunden werden. Diese inzwischen fünfte Fahrt unter Kapitänleutnant Scheibe verlief überraschend problemlos. Es war dann der erste Einsatz des Bootes im Mittelmeer, nachdem man Anfang Februar 1944 von St.Nazaire an der französischen Atlantikküste aus ohne größere Zwischenfälle den Durchbruch durch die schwer bewachte Straße von Gibraltar nach Toulon geschafft hatte.

Dieser Einsatz vor Algier verlief wiederum erfolglos, zu stark war inzwischen die Luft- und Seeüberwachung der Alliierten. Daher meldete der Kommandant am 6. April 1944 per Funk den beabsichtigten Rückmarsch, da die Brennstoffvorräte zu Ende gingen. Von diesem Zeitpunkt an verliert sich die Spur von U 455.

Bis zu jenem Tauchgang 2008, als Lorenzo del Veneziano und Roberto Rinaldi das Wrack entdeckten. Steil aufgerichtet, mit dem Heck im Schlick tief versunken, fiel den beiden zunächst gar nicht auf, daß gerade das Heck mehr oder weniger fehlte, denn so tief konnte das Wrack gar nicht im Schlick versinken. Eine gewaltige Explosion schien die hinteren Sektionen weggerissen zu haben. Nun sind in alliierten Unterlagen für den betreffenden Zeitraum aber keinerlei Aktivitäten im entsprechenden Seegebiet verzeichnet. Durch gegnerische Einwirkung ist dieses Boot also nicht versenkt worden. So dicht an der italienischen Küste liegt aber die Vermutung nahe, daß U 455 versehentlich in ein deutsches Minenfeld geraten sein dürfte. Dies ist daher die wahrscheinlichste Erklärung für das Ende dieses U-Bootes. So fand auch die Patenschaft der Stadt Forst ein unrühmliches und trauriges Ende.

U 455 auf uboot-recherche.de