Strandgut – Juni
Reinhard Hardegen stirbt im Alter von 105 Jahren
Der zu diesem Zeitpunkt älteste noch lebende U-Boot-Kommandant der Kriegsmarine Reinhard Hardegen ist am 9. Juni 2018 in seiner Bremer Heimat friedlich eingeschlafen. Der Marineoffizier, Kaufmann und Politiker wurde 105 Jahre alt. Seine große Familie, sein Freundeskreis, politische Weggefährten, ehemalige Feinde bzw. deren Angehörige und U-Boot-Enthusiasten in der ganzen Welt trauern wie auch das Deutsche U-Boot-Museum um diesen verdienten und stets fröhlichen Mann.
Reinhard Hardegen erblickte am 18. März 1913 in Bremen das Licht der Welt. Sein Vater war Studienrat und ist 1915 im 1. Weltkrieg gefallen. Nach der Grundschule besuchte er das Bremer Gymnasium am Barkhof. Als Hardegen im März 1933 die Schule verließ, hatte er nicht nur sein Abitur, sondern auch seinen Einberufungsbescheid zur Marine in der Tasche, in die er nur einen Monat später eintrat. In Strahlsund wurde er Seekadett auf dem Segelschulschiff Gorch Fock. Wäre er nicht in der Schule ein Mal sitzen geblieben, wäre er wohl auf der 1932 im Fehmarnbelt in einer Gewitterbö (White Squall) gesunkenen Niobe gefahren und möglicherweise sogar umgekommen. Von den damals 109 Mann – hauptsächlich Seekadetten – der Niobe konnten nur 40 gerettet werden. Nach einer weiteren praktischen Bordausbildung auf der Weltreise des leichten Kreuzers Karlsruhe folgten die bei der Offiziersausbildung obligatorischen Lehrgänge auf der Marineschule in Flensburg-Mürwik.
Mit Abschluss seiner Offiziersausbildung und der Beförderung zum Leutnant zur See Anfang Oktober 1935 wurde Hardegen zur Seefliegerausbildung der Luftwaffe kommandiert. An den Fliegerschulen Warnemünde und Parow erhielt er zunächst die Beobachter- und später die Flugzeugführerausbildung. 1936 wurde er bei einem Absturz schwer verletzt, wobei er ein verkürztes Bein und gewisse Magenprobleme als Spätfolgen davontrug. Nach seiner Genesung nahm Hardegen seinen Dienst als Marineflieger wieder auf und verrichtete diesen bis er sich Anfang November 1939 zur U-Boot-Waffe versetzen ließ. Zu dieser Zeit heiratete Hardegen auch seine große Liebe Bärbel. Nach Lehrgängen an verschiedenen U-Boot-Schulen und einer kurzen Dienstzeit beim Torpedo-Erprobungskommando in Kiel erhielt Hardegen die sechswöchige Kommandanten-Ausbildung bei der 25. U-Flottille in Danzig. Anschließend wurde er I WO und Kommandantenschüler auf dem erfolgreichen U 124 unter KptLt. Georg-Wilhelm Schulz, mit dem er zwei erfolgreiche Feindfahrten unternahm. Am 2. Dezember 1940 erhielt Hardegen neben seiner Beförderung zum Kapitänleutnant sein erstes eigenes Kommando, U 147 vom Typ II D, mit dem er eine Feindfahrt von Bergen in das Seegebiet nördlich der britischen Inseln unternahm, auf der er ein Schiff aus einem Geleitzug heraus versenken konnte.
Am 16. Mai 1941 wurde Hardegen dann das Kommando über das erheblich größere U 123 vom Typ IX B übertragen. Seine Zeit als Kommandant dieses Bootes wurde vielfach beschrieben, ist eine Geschichte für sich und soll daher hier nicht weiter ausgebreitet werden. Auf fünf Feindfahrten mit 213 Seetagen versenkte Hardegen nach aktueller Zählung 22 Schiffe mit 115.656 BRT und beschädigte fünf weitere. U 123 gehörte zur ersten Welle von deutschen U-Booten die nach der Kriegserklärung Deutschlands an die USA Anfang des Jahres 1942 vor der US-Ostküste operierten und zahlreiche Schiffe versenkten. Nach dieser Feindfahrt wurde Hardegen das Ritterkreuz verliehen, zu dem er später aus den Händen Adolf Hitlers auch noch das Eichenlaub erhalten sollte.
Mitte 1942 konnte Hardegen seinen noch von dem Flugzeugabsturz 1936 herrührenden Gesundheitszustand, der ihn eigentlich untauglich für den Borddienst machen sollte, nicht mehr verbergen und wurde als Ausbildungsoffizier zur 27. U-Flottille in Gotenhafen versetzt. Die Versetzung von seinem U-Boot geschah offenbar gerade noch rechtzeitig. Nachdem er nur kurz seinen neuen Dienst verrichten konnte musste Hardegen mit gefährlichen Magenblutungen ins Lazarett eingeliefert werden, die an Bord seines U-Bootes wohl nur schlecht hätten behandelt werden können.
Mit seiner Beförderung zum Korvettenkapitän wurde Hardegen am 1. März 1943 Leiter der U-Bootsausbildung an der Torpedoschule in Flensburg-Mürwik. Von Oktober 1944 bis Februar 1945 hatte er den Posten eines Referenten beim Torpedeowaffenamt des Oberkommandos der Marine in Berlin inne. Als sich die militärische Lage Anfang 1945 immer weiter zuspitzte wurde Hardegen vom Schreibtisch an die Front versetzt. Er wurde Kommandeur eines Bataillons des Marine-Grenadier-Regiments 6 der in Norddeutschland frisch aufgestellten 2. Marine-Infanteriedivision. Der hastig aus verfügbarem Marinepersonal aufgestellte Verband verfügte praktisch über keinerlei schwere Waffen, sondern war nur mit Gewehren und Panzerfäusten ausgerüstet. Ab dem 5. April 1945 wurde er gegen vorrückende Verbände der 2. britischen Armee in Raum Weser-Aller zwischen Bremen und Hannover in die Schlacht geworfen. Bis zum 21. April hatte sich der Verband nach schweren und verlustreichen Kämpfen bis in ein Gebiet unmittelbar südlich von Bremen zurückgezogen und 10.000 seiner ursprünglich 13.000 Mann verloren. Auch die meisten Offiziere in Hardegens Bataillon sind bei diesen schweren Gefechten gefallen, während er nach eigenem Bekunden nur überlebte, weil er mit Diphtherie in ein Lazerett eingeliefert werden musste und für mehrere Wochen ans Bett gefesselt war. Zwei Monate nach der Kapitulation wurde der inzwischen genesene Hardegen festgenommen und von den Engländern interniert. Aufgrund der Namensgleichheit hielt man ihn für Paul Hardegen, einen Angehörigen der Waffen SS und steckte ihn in ein Lager für ehemalige SS-Angehörige. Erst 15 Monate später gelang es Hardegen mit Hilfe von Zeitungsartikeln, die seine Frau Barbara geschickt hatte, seine Bewacher von seiner wahren Identität zu überzeugen. Im November 1946 wurde er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen
Als Hardegen entlassen wurde und ins erheblich zerstörte Bremen zurückkehrte, war er vollkommen mittellos. Er hatte aber seine Frau Barbara und seine bis da hin 2 Söhne und eine Tochter zu versorgen, so dass er sich schnellstens eine Arbeit suchen musste. Eine erste Anstellung fand er als Verteiler in einem Büro der amerikanischen Hilfsorganisation CARE. Später absolvierte er eine Lehre zum Großhandelskaufmann und vertrieb für eine dänische Firma Schiffsfarben. 1948 wuchs die Familie Hardegen ein weiteres Mal um einen Sohn an. 1952 kündigte Hardegen seine sichere Stellung und gründete beinahe ohne Finanzmittel aber mit unbedingtem Leistungswillen sein eigenes Unternehmen für Mineralöle. Dieses florierende Unternehmen leitete Hardegen dann bis er sich mit 70 Jahren 1983 aus dem Geschäftsleben zurückzog.
Bereits 1949 war er Gründungsmitglied der Bremer CDU und später von 1959-79 nur mit einer kurzen Unterbrechung Mitglied der Bremer Bürgerschaft. Schon vor seiner Zeit als Abgeordneter war Hardegen Mitglied der Deputation für Häfen Schifffahrt und Verkehr, wobei er sich besonders für den Ausbau der Kais in Bremerhaven einsetzte. Diesem Gremium, das den Charakter eines Verwaltungsausschusses hat und in aller Regel öffentlich tagt, gehörte Hardegen über 30 Jahre an – ein einsamer Rekord.
In den 50er Jahren konnte Hardegen im Ort Oberneuland günstig ein Grundstück erwerben und ein Haus darauf errichten. Die Sackgasse, in der es sich befand, wurde auf sein Betreiben hin Kapitän-König-Weg benannt um den Kommandanten des Handels-U-Bootes Deutschland im 1. Weltkrieg zu ehren, nachdem eine ursprünglich nach ihm benannte Schule im Ort umbenannt wurde.
Hardegen war passionierter Golfer. Er spielte viel und regelmäßig und konnte sogar einige Trophäen erringen. Zudem hielt er sich durch Schwimmen fit und widmete sich der Gartenarbeit.
Nachdem er seine aktive politische Laufbahn 1982 beendet hatte, zog sich Hardegen mit 70 Jahren auch aus dem Geschäftsleben zurück. Den Pensionär zog es darauf hin die Ferne. Er bewältigte mit einem Schiff die berüchtigte Nordwestpassage, bereiste über 100 Länder sowie den Nord- und Südpol. Dort musste er zerknirscht feststellen, dass er nur der zweitälteste Mensch gewesen ist, der den Südpol besuchte. Ein Engländer war vorher bei seinem Besuch nur einige Monate älter gewesen. Durch Berichte in Marine- und maritimen Zeitungen teilte Hardegen seine Erfahrungen dann mit der Allgemeinheit.
Erst mit über 100 Jahren konnte sich Hardegen dazu durchringen, sein Auto, seinen ebenfalls uralten Automatik-Mercedes, der die Nummer seines Bootes auf dem Kennzeichen trug, endgültig stehen zu lassen. In seinen späten Jahren hat Hardegen keine Interviews mehr über U-Boote gegeben, sein Stolz waren ohnehin seine Familie und sein Haus sowie seine unternehmerischen Leistungen. Er räumte zwar ein, dass er als erfolgreicher und bekannter U-Boot-Kommandant wohl das eine oder andere Mal leichter zu wichtigen Personen vorgelassen wurde, dass ihm aber nur wegen seiner Auszeichnung noch keiner etwas abgekauft hätte.
Wenn der Terminplan von Hardegen es zuließ, nahm er gern zusammen mit seiner Frau an den Besatzungstreffen seines Bootes U 123 teil. Maßgeblich durch Initiative des ehemaligen Obersteuermanns Walter Kaeding und Horst von Schroeter, Hardegens Nachfolger als Kommandant auf U 123, hatten sich viele Besatzungsmitglieder des Bootes erstmalig im November 1979 in Hamburg wieder zusammengefunden. Nach ihrer ersten Zusammenkunft traf sich die Besatzung zusammen mit den Besatzungen von U 2506, dem Typ XXI-Boot, das von Schroeter mit einem großen Teil der Besatzung von U 123 1944 übernommen hatte und von U 4713 vom Typ XXIII, dessen Kommandant Kaeding wurde, locker fast in jährlicher Folge wieder. Da die Besatzungsmitglieder nicht nur aus dem gesamten Bundesgebiet, sondern auch aus Osterreich kamen, wurden die Treffen abwechselnd im Norden an der Küste und eher südlicher im Binnenland abgehalten. Das siebte Besatzungstreffen im September 1991 war das erste Treffen, das in Altenbruch beim U-Boot-Archiv stattfand. Hardegen konnte nicht teilnehmen, da er sich mit seiner Frau auf Grönlandreise befand und im Packeis feststeckte. Nachdem sich die Besatzung von U 123 1993 turnusmäßig ein Mal in südlicheren Gefilden – in Kassel – getroffen hatte, kam sie im Juli 1995 zum neunten Mal abermals in Altenbruch zusammen. Dieses Mal war Hardegen gerade am Nordpol. Erst am dritten Treffen beim U-Boot-Archiv – das inzwischen 13. der Besatzungsgemeinschaft U 123 – U 2508 – U 4713 – im September 2002 konnten die Hardegens dann teilnehmen. Als sich die Besatzungen zwei Jahre später erneut in Altenbruch zu ihrem 15. Treffen zusammenfanden, erschien Hardegen zum ersten Mal allein zu einem Besatzungstreffen. Seine Frau Bärbel war einige Wochen vorher schwer erkrankt. Gut einen Monat nach diesem Besatzungstreffen verstarb Hardegens geliebte Frau Bärbel im Alter von 89 Jahren. Sie waren 67 Jahre lang verheiratet.
Hardegen besuchte das U-Boot-Archiv aber nicht nur im Zuge von Besatzungstreffen. In seinem fast schon legendärem Automatik-Mercedes hatte er es nicht weit von Oberneuland nach Altenbruch. Nach dem Tod von Horst Bredow erhielt seine Frau Annemarie den Kontakt weiter aufrecht.