Der Landgang
U 862 – und der Landgang zur Aufbesserung der Bordverpflegung
Am 03. Juni 1944 verließ das mit Schnorchel ausgerüstete deutsche Typ IXD2 U-Boot U 862 (Verdrängung getaucht 1.804 t Länge 87,6 m, Breite 7,5 m, Reichweite bei 12 kn = 23.700 sm, Besatzung 55-63 Mann, 4 Bug- und 2 Hecktorpedorohre) den norwegischen Stützpunkt Narvik und erreichte nach 99 Tagen den südostasiatischen Stützpunkt Penang in Malaysia. Kommandant war der erfahrene ehemalige Handelsschiffsoffizier Korvettenkapitän Heinrich Timm (Crew 1933).
Als Teil der deutschen „Monsun-U-Boote“ der 33. U-Flottille verlegte es vom 05. bis 07.11.1944 von Penang nach Batavia auf Java, dem heutigen Djakarta.
Am 18.11.1944 lief es von Batavia zu einer 90-tägigen Einsatzfahrt aus, die es um die Südküste Australiens herum zur Nordinsel Neuseelands bis in den Pazifik führen sollte. Abgesehen von den Verlege-Fahrten der deutschen U-Boote U 511 (1943), U 510 und U 532 (1944), sowie U 813 (1945), dazu denen der von Italien übernommenen Transport-U-Boote UIT 24 und UIT 25 (1944) nach Japan war die Unternehmung von U 862 der einzige Kampfeinsatz eines deutschen U-Bootes im Pazifik im Zweiten Weltkrieg.
Auf seiner Hinfahrt versenkte U 862 am 24.12.1944 rund 165 sm südwestlich Sydney den US-amerikanischen Frachter Robert J. Walker und auf seiner Rückfahrt am 06.02.1945 rund 900 sm westlich Perth an der australischen Westküste den US-amerikanischen Frachter Peter Silvester.
Auf dem Hin- und Rückweg passierte U 862 den südlichen Teil des australischen Kontinents, einschließlich Tasmaniens, sichtete dabei u.a. am 06.12.1944 Kangaroo Island südwestlich von Adelaide und am 14.12.1944 Tasmanien, doch die Nordinsel Neuseelands wurde dann im Januar 1945 teilweise aus allergrößter Nähe erkundet.
Am 07.01.1945 wurde Cape Reinga an der Nordspitze erreicht, nach dem Operieren vor Cape Brett an der Nordostküste am 10.01.1945, vor Auckland am 12.01.1945 und vor East Cape am 13.01.1945 wurde am 15.01.1945 in die Poverty Bay bis unmittelbar vor den Hafen von Gisborne am Ostrand der Nordinsel eingelaufen und tatsächlich das dortige nächtliche Leben an Land aus Ferngläsern beobachtet, am 16.01.1945 geschah Gleiches in der Hawks Bay bei Napier.
Am 17.01.1945 erfolgte dann der Befehl zur sofortigen Rückkehr des Bootes nach Batavia wegen der Kriegsentwicklung in Südostasien. Am 15.02.1945 schließlich kehrte U 862 nach Umrundung des südlichen Australiens in den Indischen Ozean und nach Batavia zurück. Nach seiner Verlegung am 17.02.1945 nach Singapur wurde das Boot nach der deutschen Kapitulation am 06.05.1945 als I-502 von Japan übernommen, die deutsche Besatzung geriet nach ihrer zwischenzeitlichen japanischen Internierung im August 1945 in zum Teil mehrjährige britische Kriegsgefangenschaft.
Das teilweise Operieren unmittelbar unter der neuseeländischen Küste hat nun wiederholt Anlass zu wilden Geschichten um diese Fahrt von U 862 ergeben, deren Gipfel das angebliche heimliche Abmelken von neuseeländischen Kühen bei Nacht durch an Land abgesetzte Besatzungsmitglieder zur Aufbesserung der Verpflegung an Bord ist. Hierzu wird in der Tageszeitung „The Times“ am 18.01.1994 sogar von einem neuseeländischen Bauern namens Frank Steiner aus Napier berichtet, der sich bislang nicht erklären konnte, warum in einer Nacht im Januar 1945 seine Kühe offensichtlich heimlich von Unbekannten abgemolken worden waren.
Der Kern der Mythen um U 862 und die angeblichen Abenteuer seiner Besatzung in Neuseeland geht auf ein eher zufälliges Treffen des damaligen Kommodore des britischen Militärflugplatzes Jever bei Wilhelmshaven (der 1935 erbaute Luftwaffenfliegerhorst Jever bei Wilhelmshaven war von 1951 bis 1961 ein Fliegerhorst der Royal Air Force und wurde erst dann an die deutsche Luftwaffe übergeben), dem aus Neuseeland stammenden und 1938 in die britische Royal Air Force eingetretenen Group Captain Sidney Rochford Hughes (später Air Marschal und als KCB zum „Sir“ ernannt) und dem seit 1956 der neuen Bundesmarine angehörenden Fregattenkapitän Heinrich Timm, seit 28.05.1959 erster Kommandant der Schulfregatte Scharnhorst (F-213) der Bundesmarine, vermutlich 1959 in der Offiziersmesse des Fliegerhorstes Jever. Beim Austauschen von Kriegserlebnissen, so Timm später selber zugebend, hat Timm wohl den Geschichten der Neuseeländers Hughes seine Mär vom angeblichen Landgang einiger seiner Besatzungsmitglieder Anfang 1945 bei Napier auf der neuseeländischen Nordinsel entgegengesetzt, wo diese dann angeblich zur Auffrischung der Bordverpflegung dort in der Nacht weidende Kühe abgemolken hätten. Hughes hat diese Geschichte später verbreitet, u.a. durch einen Artikel in der Veteranenzeitschrift „Review“, dabei hat sich der klar geflunkerte Hintergrund der Geschichte in der weiteren Verbreitung wohl in eine Tatsachenbehauptung gewandelt und sorgt seitdem immer wieder einmal für Aufregung.
Das wohl umfangreichst recherchierte Buch zu dieser Reise wurde vom australischen Autor David Stevens 1997 veröffentlicht: „U-Boat Far From Home – The Epic Voyage of the U 862 to Australia and New Zealand“, erschienen bei Allen & Unwin, Sydney, März 1997. Der bekannte deutsche Autor Jochen Brennecke erwähnt diese Fahrt ebenfalls in seinem Buch „Haie im Paradies“, erschienen u.a. als Taschenbuch bei Heyne in München 1993.
Fazit:
So einzigartig und kühn die Unternehmung von U 862 nach Australien und Neuseeland auch gewesen sein mag, ein „Landgang“ von deutschen Marinesoldaten zur Aufbesserung der Bordverpflegung hat in Neuseeland nie stattgefunden, entsprechende Geschichten gehen auf die nette und offensichtlich sehr erfolgreiche Flunkerei des Kommandanten Heinrich Timm zurück.
Text und Bildmaterial – Deutsches U-Boot-Museum