U 999 und Kdt. Heibges
Der Wolf und die sieben Geißlein – Wolfgang Heibges und U 999
Über einige der vielen Rettungen von Zivilpersonen aus dem bedrohten Memelland und Ostpreußen auch durch U-Boote ist in Zeitungen und Zeitschriften schon viel veröffentlicht worden – meist aber nur mit der kurzen Bemerkung, dass die Zusammenführung von Geretteten und Besatzung lange nach dem Kriege durch das U-Boot-Museum und Archiv erfolgte. In unsere Serie „Mythen“ haben wir ja kürzlich Einiges zu der Beteiligung von U-Booten der Kriegsmarine an Evakuierungen von Zivilpersonen aus Ostpreußen über See zusammengefasst veröffentlicht, darin auch die Geschichte von U 999 und dessen Kommandant Wolfgang Heibges.
Was war nun nötig und welche Kleinarbeit musste im Archiv geleistet werden, wenn solche Geschichten lange nach Kriegsende durch entsprechende Anfragen von damals Geretteten aufgeklärt werden mussten? So schrieb mir im März 1984 eine Frau Gisela Müller aus Scheidegg-Lindenau und berichtete, dass sie, eine weitere Frau und insgesamt 7 Kinder (zwei von Frau Müller, eine junge Nichte von ihr und vier von der anderen Frau) am 13.03.1945 von Hela aus mit einem U-Boot in den Westen gerettet worden seien.
Frau Müller war die Gattin des KKpt (Ing) Dipl.-Ing Hans Müller, dem LI von U 38 von Oktober 1938 bis Juni 1940, später Flottillen-Ing. der 25. U-Flottille und zum Schluss U-Bootsreferent der Schiffbau-Kommission. Bei Kriegsende lebte er mit seiner Familie in Ostpreußen. Frau Müller fragte mich nun, ob es möglich sei, aus folgenden Angaben „ihr Boot“ herauszufinden, mit dem sie im März 1945 sicher nach Westen gelangte. Aus ihrer Erinnerung heraus gab sie mir folgende, allerdings nur spärliche Daten:
- Es sei ein U-Boot gewesen, wie es heute in Laboe liegen würde (also ein Typ VII C)
- Der Kommandant hätte „Wolf“ geheißen und sei noch sehr jung gewesen
- Das U-Boot sei aus Hela ausgelaufen mit etwa 40 Flüchtlingen.
Mehr Angaben konnte sie nicht machen, so begann jetzt meine Kleinarbeit:
Welche Typ VII U-Boote waren im März 1945 im Seegebiet östliche Ostsee und in Ostpreußen? Von welchem dieser U-Boote hieß der Kommandant „Wolf“? Zur versuchten Lösung dieses Problems bin ich alle Kommandanten mit Namen „Wolf“, „Wolff“, „Wulf“, „Wulff“, u.ä. durchgegangen, niemand von diesen kam in Frage, alle Kommandanten dieser Na-men befanden sich zu dem Zeitpunkt woanders. Das teilte ich Frau Müller zunächst mit.
Nach etwa zwei Wochen kam von Frau Müller ein Brief, in dem sie mir mitteilte, dass sie inzwischen mit ihrer ältesten Tochter gesprochen habe, die sich zu erinnern glaubte, dass der Kommandant mit den sieben Kindern immer „Der Wolf und die sieben Geißlein“ gespielt habe. Es könne also auch sein, dass der Kommandant mit Vornamen „Wolf“ oder ähnlich hieß.
1984 stand noch kein PC zur Verfügung, in dem man unter dem Stichwort „Kommandanten“ als Suchkriterium einfach nur entsprechende Vornamen eingegeben hätte – ich musste also alle „Wolf“, „Wolff“, „Wulf“, „Wolfram“, „Wolfgang“, u.ä. in unseren Akten durchgehen und prüfen, ob sie mit ihren Booten zu dem fraglichen Zeitraum in dem Seegebiet unterwegs waren.
Da bahnte sich ein Erfolg an: Auf Wolfgang Heibges und sein Boot U 999 trafen die Kriterien zu. Es war bei uns im Archiv auch in den Akten vermerkt, dass U 999 im März 1945 Flüchtlinge westwärts mitgenommen hatte. Mit Heibges stand ich schon einige Zeit in Verbindung. Ich rief ihn an und fragte ihn, ob er bei seiner Flüchtlingsfahrt einmal mit sieben Kindern „Der Wolf und die sieben Geißlein“ gespielt habe. Er konnte sich sofort erinnern – und was nun weiter geschah, war nur noch Freude auf allen Seiten: Ich teilte Frau Müller die Adresse von Heibges mit, sie schrieb ihm, es entstand näherer Kontakt, sie besuchten sich gegenseitig und wurden zu Freunden.
Für das U-Boot Archiv und mich war das ein wunderbares Ergebnis unserer Arbeit, nämlich ein weiteres Mal Menschen wieder zusammengeführt zu haben, die sich in den dunklen Stunden des Krieges unter ganz anderen Umständen schon einmal begegnet sind. Frau Gisela Müller war seit 1984 eine enge Freundin des U-Boot Archivs – sie starb leider am 01.08.2009 und folgte damit dem zuvor am 04.04.2005 verstorbenen Wolfgang Heibges.
Mit der Tochter von Frau Müller, die 1945 gerade acht Jahre alt war und durch ihre Erinnerung zur Lösung des Problems beigetragen hatte, verbindet uns ein enger Kontakt. Frau Anita Krenz und ihr Gatte, Dr. Reinhard Krenz, sind Mitglieder in unserem Freundeskreis FTU e.V.
Text: Horst Bredow (28.08.2012) – Fotos: Deutsches U-Boot Museum