U-Boote unter dem Eis
U-Boote der Kriegsmarine operieren im und unter dem Eis
Am 23.07.1958 verließ das erste nuklear angetriebene U-Boot der US Navy, die am 30.09.1954 in Dienst gestellte USS Nautilus (SSN-571), den Marinestützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii zu einer bislang noch nie gewagten Unternehmung: Untertauchen des Nordpols bei der ersten Unterwasserpassage eines U-Bootes vom Pazifik über die Arktis in den Atlantischen Ozean. In der „Operation Sunshine“ ging die „Nautilus“ am 01.08.1958 vor Point Barrow in Alaska auf Tauchstation und erreichte den Nordpol am 03.08.1958 um 23.15 Uhr, dort wurde der weltberühmte Funkspruch abgegeben: „Nautilus, 90 Grad Nord“. 96 Stunden und 1.830 sm Wegstrecke nach dem Tauchen später kam das U-Boot am 05.08.1958 zwischen Grönland und Spitzbergen im Nordatlantik wieder an die Oberfläche und lief dann am 12.08.1958 im britischen Marinestützpunkt Portland in Südengland ein. Dies ist die erste überlieferte Fahrt eines U-Bootes für längere Zeit unter dem geschlossenen arktischen Eis, in der Folge ist dies ein Routinemanöver für die Atom U-Boote der US Navy, Royal Navy und früheren sowjetischen und heutigen russischen Marine geworden.
Tatsächlich hat es Tauchmanöver unter einer geschlossenen Eisdecke durch U-Boote aber schon früher gegeben. Von U-Booten der Kriegsmarine sind nämlich mehr oder weniger einsatzbedingte Fälle bekannt, in denen sie geschlossene Eisdecken untertaucht haben, um durch Eis versperrte Passagen dennoch zu bewältigen. Auch sind vor allem durch Fotos belegte Fälle bekannt, in denen U-Boote der Kriegsmarine im Eis eingefroren sind oder sich bewusst im Eis haben einfrieren lassen, um z.B. Personal und/ oder Material über das Eis an Land zu bringen.
Die Literatur und Quellenlage zu solchen Fällen ist spärlich. In einigen Veröffentlichungen dazu ist das übliche Problem zu beobachten, dass ungeprüft Erzählungen oder oberflächliche Rechercheergebnisse zu Operationen deutscher U-Boote im Eis oder unter dem Eis übernommen werden und in phantasievolle Darstellungen umgesetzt werden. Und, wie nicht anders zu erwarten, haben sich daraus etliche Mythen entwickelt. Es ist deshalb unerlässlich, wenigstens die KTB der zuständigen Befehlshaber und/ oder der in Frage kommenden U-Boote nach Aufzeichnungen zu untersuchen, die Unterwasserpassagen von Eisfeldern oder längeren Einschluss in tragfähiges Eis vor Küsten belegen. Trotz gebotener Vorsicht können auch Erzählungen von Zeitzeugen hilfreich sein, wenn sie denn durch Erzählungen anderer, idealerweise aber durch nachgewiesene Ereignisse bestätigt sind.
Wir haben dies im U-Boot Archiv getan und wollen dazu nachfolgend drei nachweisliche Fälle von Eisoperationen von U-Booten der Kriegsmarine darstellen, die wir bei unseren Recherchen entdeckt haben. Einen vierten Fall hingegen, der in der Literatur teilweise Erwähnung findet, können wir nur als reine Erfindung darstellen.
Absichtliches Einfrierenlassen in geschlossenem Eis vor einer Küste
30.10. – 08.11.1942 in Spitzbergen: U 377
Nachdem das U-Boot v. 06.-08.09.1942 die unbemannte Wetterstation WFL 21 „Gustav“ in Ny Ålesund auf West-Spitzbergen abgesetzt hatte und am 07.und 08.10.1942 die ersten 4 Mann des Wetterkommandos „Nußbaum“ in Narvik und Tromsö an Bord genommen hatte, wurde dieses Kommando an der früheren Stellung des Kommando „Knospe“ auf Spitzbergen (siehe U 435) abgesetzt, danach erfolgte Aufklärung der Nordwestküste von Spitzbergen. Auf Bildern von der zweiten Anlandung nach dem Auslaufen in Narvik am 27.10.1942 mit Restmaterial für „Nußbaum“ und 3 weiteren Wetterbeobachtern zwischen dem 30.10. und 08.11.1942 in der Signe Bucht am Kross-Fjord ist deutlich zu erkennen, dass sich U 377 komplett vom Eis hat einschließen lassen, so dass das Personal und Material direkt vom U-Boot auf das Eis und dann mit Schlitten an Land gebracht werden konnte.
In den KTB-Aufzeichnungen für die Unternehmung v. 25.09.1942 bis 25.11.1942 ist zu lesen, wie das U-Boot vermerkt:
30.10./ 15.38 – Mit kleiner Fahrt in die glatte Küsteneisdecke der Bucht hineingefahren. Boot liegt fest.
Peilung:
Nielsept 134 °
Frodtjovneset: 30°
Und in einem Sammelbericht danach wird u.a. vermerkt:
31.10. bis 07.11. – Ausladen und Transport weiterer Ausrüstung. Bis zum 03.11. konnten die Arbeiten verhältnismäßig reibungslos durchgeführt werden, dann waren sie erheblich erschwert durch Tauwetter und starken Eisgang…
Am 08.11.1942 wurde dann um 09.37 Uhr der Anker gelichtet und U 377 verließ die Bucht durch das nunmehr lose Eis und erreichte am 12.11.1942 Harstad.
Untertauchen geschlossener Eisdecken oder Packeisfelder
26.08.1942 bei Spitzbergen: U 435
U 435 wurde während seines Einsatzes gegen Konvois im Nordmeer am 22.08.1942 befohlen, in einer Sonder-aufgabe das am 15.10.1941 durch die Wetterschiffe Sachsen und Fritz Homann in Spitzbergen abgesetzte Wetterbeobachtungs-Kommando „Knospe“ aus 6 Mann am Ende des Kross-Fjordes an der Westküste der Westinsel von Spitzbergen abzubergen. Die Anbordnahme des Kommandos und Teile seines Materials erfolgte am 24.08.1942 und um 19.45 Uhr an diesem Tag ging es ankerauf. Der Kommandant entschloss sich, auf dem Rückweg nach Norwegen seine Eiserkundung fortzusetzen und dabei Spitzbergen nördlich und östlich zu umfahren, teilweise fuhr das U-Boot sogar über den 81sten Breitengrad. Nordöstlich der der Inselgruppe von Spitzbergen vorgelagerten Insel Kvitøya traf U 435 am 26.08.1942 auf ein langgestrecktes, geschlossenes Feld von Treibeis von danach geschätzten 1.500 m Ausdehnung. U 435 untertauchte dieses Eisfeld und hatte es nach diesen 30 Minuten passiert.
Die KTB Aufzeichnungen dazu lauten:
26.08./ 07.28 – Boot getaucht, um dichten Treibeistrich von etwa 1.500 m Breite, ebenfalls in N-S-
Richtung von Horizont zu Horizont reichend, zu untertauchen…
26.08./ 07.58 – Boot aufgetaucht.
Mit dieser Eisunterquerung ist U 435 eines der ersten U-Boote der Geschichte, das bewusst unter eine nicht näher aufgeklärte geschlossen Eisdecke getaucht ist, um unter dieser den geplanten Weg fortzusetzen. In der Literatur findet sich zu diesem seemännisch und navigatorisch anspruchsvollen Manöver von einigen Autoren die Aussage, dass U 435 auf den Rückweg nach Nordwegen über längere Zeit eine geschlossene Eisdecke in der Hinlopen-Straße untertaucht habe, die die Nordost- und die Westinsel von Spitzbergen trennen. Das KTB schildert dieses nun ganz anders und auch wir im U-Boot Archiv sind lange dieser irreführenden Darstellung gefolgt.
02.05.1943 in Labrador: U 262
Nach seinem Auslaufen am 06.04.1943 aus La Pallice erhält U 262 am 15.04.1943 den Befehl zur Durchführung einer Sonderaufgabe, nämlich bis dahin aus dem Kriegsgefangenenlager Camp 30 bei Fredericton auf Prince-Edward Island in Kanada geflohene und zum geplanten Aufnahmepunkt bei North Point an der Nordspitze der Insel sich durchgeschlagen habende deutsche Marinesoldaten in einer Geheimoperation (Unternehmen „Elster“) zu evakuieren.
Dabei musste das U-Boot die rund 100 km breite Cabot-Straße passieren, die die großen Inseln Nova Scotia und Neufundland vor Kanada trennt, um zum geplanten Aufnahmepunkt bei North Point auf der Prinz-Edward Insel zu gelangen, wo es auch am 02.05.1943 eintraf, dann jedoch erfolglos am 06.05.1943 die Operation abbrechen musste, weil der Fluchtversuch offenbar misslungen war. Auf dem Marsch zum Treffpunkt geriet U 262 in der Cabot-Straße in geschlossenes Treibeis.
Der Kommandant entschloss sich zum Untertauchen des Eises, obwohl er nur eine Hoffnung hatte, auf dem weiteren Weg wieder in eisfreie Gewässer zu kommen, um dort dann wieder auftauchen zu können. Tatsächlich dauerte die Unterwasserfahrt unter dem Eis lange 16:03 Std, bevor das U-Boot erst in einem zweiten Auftauchversuch wieder an die Wasseroberfläche gelangte. Auf dem Rückmarsch ab dem 06.05.1943 konnte das U-Boot die Cabot-Straße aber ohne längere Tauchmanöver unter dem Eis passieren.
Die KTB-Einträge für die erstaunliche Eisunterquerung lauten:
27.04./ 08.04 – Beide Maschinen GF. In der Cabot-Straße.
27.04./ 08.20 – Beide Maschinen LF. Eisfeld voraus, Treib- und Schiebeeis. Das Feld ist größer und dichter, als das vorher angegebene. Mit geringster Fahrtstufe Eisfeld durchfahren. Die Eisfelder nehmen, der Größe und Dichte nach, laufend zu, so daß ich gegen 10 Uhr in einem unübersehbaren Treibeisfeld feststecke, muß annehmen, daß weiter Westlich das Eis sich zu einer festen Decke verdichtet. Wenn das der Fall ist, bin ich gezwungen, Durchführung Aufgabe abzubrechen. Entschließe mich, trotz der dichten Eismassen zum Unterwassermarsch in NW-Richtung. In der Hoffnung, daß ich abends bei Auftauchen das Eisfeld, das sich vielleicht nur vorm Ausgang der Cabot-Straße staut, unterfahren habe.
27.04./ 10.12 – Mit gestopptem Boot in eisfreiem Loch getaucht.
28.04./ 02.15 – Aufgetaucht. Auftauchversuch, Turmluk läßt sich nicht öffnen, wegen aufliegender Eisscholle.
28.04./ 02.20 – Aufgetaucht. 2. Auftauchversuch, Turmluk läßt sich mit Mühe öffnen, Brückengeländer, Bb achterer Netzabweiser abgerissen, Kanone und MG C 30 beschädigt. Mündungsklappen Rohr I, III und IV lassen sich nicht öffnen, alle durch Eis verbogen. 300 m voraus habe ich freies Wasser.
Die ist nachweislich die längste, bis dahin von einem U-Boot durchgeführte Unterwasserfahrt unter einer geschlossenen und nicht aufgeklärten Eisdecke, die von hohem Wagemut sowie großem seemännischen und navigatorischen Geschick zeugen. Auch bei der Schilderung dieser Fahrt in der Literatur finden sich teilweise Angaben von einer 18 Stunden langen Tauchfahrt unter dem Eis, was sich durch die KTB-Aufzeichnungen etwas reduziert darstellt. Insgesamt aber eine bemerkenswerte Leistung der Besatzung von U 262.
Angeblich: U 514 am 13.09.1944 vor dem St.Lorenz-Strom
In der Literatur finden sich Hinweise zu einer weiteren Untertauchung eines Eisfeldes durch ein deutsches U-Boot, nämlich angeblich von U 541 in der Mündung des St.-Lorenz-Stroms in Kanada, wo dieses Schnorchel-Boot nach Auslaufen von Lorient am 06.08.1944 zusammen mit U 802 gegen alliierten Schiffsverkehr angesetzt war und nordöstlich von Nova Scotia am 03.09.1944 den britischen Frachter Livingston versenkt hatte. Von einem angeblichen Tauchen unter das Eis danach ab 13.09.1944 und späteres Auftauchens zum Batterieladen in einen großen Eisfeld im Seegebiet der Mündung des St. Lorenz-Stromes sucht man dann im KTB und anderen Primärquellen allerdings vergeblich.
Die entsprechenden KTB-Aufzeichnungen des Bootes für den 13.09.1944 sagen nämlich u.a. nüchtern (Anm. Positionen am 13.09. werden mit BA 35 und später mit BA 38 angegeben, was den Eingang des St.Lorenz-Stroms meint):
13.09./ 01.36 -Beginn der Schnorchelfahrt
13.09/ 02.54 – Feuer von Gt. Cawee rw. 313 Grad, Wiederkehr 10 sec, sonst unverändert
13.09./ 05.50 – Hell erleuchteter Strand von Trinity in Sicht
13.09./ 06.04 – Ende der Schnorchelfahrt, Feuer Pte. des Monts rw. 232 Grad, unverändert
13.09./ 09.15 – Schwache Horchpeilung Stb. Voraus 55 Grad, rw. 279 Grad, 120 U/min,
vorauswandernd. Verschwindet nach ¼ Std, in rw. 255 Grad.
13.09./ 09.42 – Beginn der Schnorchelfahrt
13.09./ 11.13 – Ende der Schnorchelfahrt
13.09./ 12.00 – Etmal: Unter Wasser 63,0 sm.
13.09./ 16.26 – Schwache Horchpeilung Stb. Voraus 30 Grad, rw. 208 Grad. Auf Sehrohrtiefe nichts zu sehen. Nach 10 Minuten nichts mehr zu hören.
13.09./ 16.50 – Gestoppt auf Wasserschicht Tiefe 30 m gelegen, um Strom zu sparen und besser horchen zu können.
Weder für die Tage im St. Lorenz-Strom zuvor noch danach sind irgendwelche Eintragungen zu Eisgang und schon gar nicht zu Tauchmanövern unter das Eis zu finden. Uns liegen auch die Erinnerungen des Kommandanten von U 541, KptLt Kurt Petersen, für diese Fahrt vor, der den Aufenthalt des U-Bootes im inneren St. Lorenz-Strom in Zeitraum 12.09./ 09.35 bis 16.09./ 03.04 beschreibt und nirgendwo Eisgang oder Manöver unter dem Eis erwähnt.
Damit scheidet dieses U-Boot also als ein weiteres Beispiel für Manöver von deutschen U-Booten im festen Eis oder unter dem Eis aus.
Fazit:
Es mag weitere, bislang noch nicht speziell untersuchte Fälle geben, in denen U-Boote der Kriegsmarine aus operativen Notwendigkeiten sich haben im Eis einfrieren lassen oder Tauchmanöver unter das Eis gewagt hatten. In der oft so bizarr anmutenden Welt der Verschwörungstheoretiker finden sich natürlich auch Geschichten von tollkühnen Operationen deutscher U-Boote im Eis und unter dem Eis der Arktis, aber auch der Antarktis, Stoff also für viele Mythen.
Die wenigen tatsächlichen Fälle von Einschließungen im Eis oder Untertauchen von Eisfeldern sind das Ergebnis von Einzelentscheidungen der Kommandanten vor Ort und nicht Operationen in Umsetzung von entsprechenden Befehlen höherer Kommandostellen, sich in das Eis zu wagen. Im Gegenteil, in vielen der Funksprüche dieser Dienststellen werden die U-Boote sogar angewiesen, Eisfelder zu meiden. Grund dafür sind die Erfahrungen mit Beschädigungen der Boote durch Eis, sei es in den Stützpunkten in der Heimat wie auch in Norwegen sowie natürlich bei den Einsätzen im Nordmeer und an den arktischen Inseln, das KTB von U 262 beschreibt ja solche Schäden bei seinem Tauchmanöver an der kanadischen Küste so eindringlich.
Es bleibt aber festzustellen, dass es vor der USS Nautilus mit ihren völlig neuartigen technischen Möglichkeiten in 1958 schon im Zweiten Weltkrieg durch deutsche U-Boote zumindest einen Fall gegeben hat, in denen länger unter geschlossene Eisdecken getaucht wurde.
Quellen:
KTB des BdU und von U 262, U 435, U 377, U 514
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Literatur:
- Hadley, Michael: U-Boote gegen Kanada
- Nusser, Franz: Die Arktisunternehmen des deutschen Marinewetterdienstes in den Jahren 1940-1945, Deutscher Wetterdienst, Hamburg 1979
- Mallmann-Showell, Jak: Deutsche U-Boote an feindlichen Küsten 1939-1945, Motorbuch-Verlag, Stuttgart 2002
- Selinger, Franz: Von Nanok bis Eismitte – Meteorologische Unternehmungen in der Arktis 1940-1945. Convent Verlag, Hamburg 2001. ISBN 3-934613-12-8
Text: Peter Monte – Fotos: Deutsches U-Boot-Museum