Die Geschichte zu U 287
Die verschworene Gemeinschaft von U 287
Als ich kurz nach der Entlassung aus der Gefangenschaft mit dem Zusammentragen von Daten begann, war die Quellenlage gleich Null. Es war mühsam, einen Grundbestand an Wissen über U-Boote und deren Besatzungen aufzubauen.
Naturgemäß begann ich bei meinem Boot U 288 und als nächstes wollte ich mich dann mit unserem Schwesterboot U 287 beschäftigen. Da lag fast gar nichts vor. Lediglich, dass der Kommandant Heinrich Meyer hieß, hatte ich noch in Erinnerung. Da sonst nichts zu finden war, ließ ich weitere Nachforschungen erst einmal ruhen. Anfang der 1950er Jahre erhielt ich dann von einem Kameraden und Freund, Werner Lips aus Berlin, die Information, dass U 287 in der Elbe auf eine Mine gelaufen sein und nur vier Mann überlebt hätten. Von drei Mann wusste er auch die Namen: Gerhard Koop, Hans-Detlef Tamke und Martin Wefing. Den Namen der Vierten wusste er nicht mehr. Den erfuhr ich erst viel später: Am 17.05.1989 bekam ich im Archiv Besuch von Kameraden Rainer Kersten, dem LI von U 287 bei Kriegsende – er war der Vierte!
Nun muss ich erst einmal eine andere Geschichte dazwischen schieben. Mein Freund und langjähriger „zweiter Mann“ im Archiv war Werner Techand, ehemaliger Kommandant von U 731, war bei Kriegsende in Flensburg. Die Engländer, die im Mai 1945 Schleswig-Holstein besetzt hatten, ließen den dortigen Wehrmachtsangehörigen noch gut drei Wochen weitgehende Freiheit, wir wissen alle noch von der Regierung Dönitz in der Marineschule Mürwik in Flensburg.
Er war der Ansicht: „Was sollen die Engländer damit, irgendwann können sie vielleicht für uns wichtig sein…“ Er nahm nun Akte für Akte unter dem Schutz seines Mantels und brachte sie zu seiner Braut, die damals in Flensburg wohnte.
1983, als ich nach meiner Pensionierung als Lehrer in Berlin mit Museum und Archiv nach Westerland auf Sylt umzog, brachte er mir eines Tages bei einem Besuch diese unvorstellbar wertvollen Schriftstücke mit. Liebe Freunde in Großbritannien, verzeiht mir, aber das dürfte inzwischen verjährt sein! In diesen Akten war auch eine „Rote Liste“ mit den Verlustursachen aller deutschen U-Boote. So konnten wir diese mit unseren, inzwischen ziemlich komplettierten Daten vergleichen. Bei U 287 fanden wir zu unserer Überraschung: „16 May 1945, lost by mine on the river Elbe…“ In meinem ersten Bootblatt von U 287 stand also unter Verlust: „16.05.1945 in Elbe auf Mine gelaufen“.
Das war der offizielle Stand in deutschen und ausländischen Quellen. Was mich aber verwunderte, was das Datum 16.05.1945, denn zwischen dem 04.05.1945 und 08.05.-1945 gab es mehrere Waffenstillstandsabkommen, die die Kapitulation und Übergabe aller noch im Dienst befindlichen U-Boote der Kriegsmarine festlegten. Von den Überlebenden von U 287, inzwischen hatte ich neben den Kontakten zu den vier oben aufgeführten auch Zuschriften von weiteren Besatzungsangehörigen des Bootes erhalten, wollte keiner etwas Genaueres über die Zusammenhänge des Bootsverlustes aussagen.
Erst der Besuch von Rainer Kersten brachte Licht in das Dunkel. Und so komme ich zurück auf die eingangs begonnene Geschichte. U 287 war nämlich am 16.05.1945 in der Elbmündung bei Schelenkuhlen auf der Reede von Altenbruch bei Cuxhaven bei einer Wassertiefe von 23 Metern selbst versenkt worden. Ein Teil der Besatzung wurde vorher bei Altenbruch in Schlauchbooten abgesetzt und dort von der Bevölkerung mit Zivilkleidung und allem anderen Nötigen versorgt, so dass sie sich nach Hause durchschlagen konnten. Ein anderer, kleinerer Teil wurde zuvor am rechtsseitigen Elbufer nach Schleswig-Holstein abgesetzt und machte sich von dort aus als „Zivilisten“ auf den Weg nach Hause.
Die vier Männer, die an Bord verblieben waren, um U 287 zu versenken, gerieten aber in englische Gefangenschaft, wurden dann zum Teil sehr hart verhört und in Einzelhaft gehalten. Sie wussten bei den Verhören natürlich genau, dass sie und ihre Kameraden gegen das von der Besatzungsmacht verhängte Verbot zur Selbstversenkung verstoßen hatten. Aber, sie wollten ihre in Freiheit befindlichen Kameraden keinesfalls verraten, denn es waren meist Familienväter oder Männer in festen Beziehungen. Alle hätte mit langjährigen Gefängnisstrafen rechnen müssen, wie es andere Beispiele solcher Selbstversenkungen ja gezeigt haben. So blieben diese vier bei den Verhören unabhängig voneinander immer wieder bei der Aussage: „Boot auf Mine gelaufen, alle tot, nur wir vier haben überlebt!“
Warum hatten alle Befragten, auch noch weit nach Kriegsende, so eisern geschwiegen? Sie hatten sich vor der Versenkung ihres Bootes und dem Auseinandergegen im Mai 1945 gegenseitig geschworen, die genauen Umstände des Untergangs ihres Bootes geheim zu halten.
So hatten also vier Mann bei der Gefangennahme ein Opfer für die ganze übrige Besatzung auf sich genommen und an ihrer Version des Minentreffers festgehalten – dafür gingen sie noch vier Jahre in die „Obhut“ der Engländer. Die Entschlossenheit und der Mut dieser Männer ist für mich ein auch gutes Beispiel für Heldentum, nämlich lieber schwere Haftbedingungen, Verhöre und lange Gefangenschaft in Kauf zu nehmen, als seine Kameraden zu verraten.
Ihre gleichlautenden Aussagen waren während der ganzen Zeit so überzeugend gewesen, dass schließlich auch die offiziellen englischen Verlustlisten für U 287 verzeichneten: „Am 16.05.1945 in der Elbe auf Mine gelaufen“.
Die deutschen Verlustlisten übernahmen diese Version zunächst. Erst durch die hier beschriebene Arbeit im U-Boot Archiv konnten nun die neuen Erkenntnisse Eingang finden. Ironie der Geschichte: Der Vorfall ereignet sich im Mai 1945 vor Altenbruch bei Cuxhaven, wo das U-Boot Museum und Archiv 43 Jahre später seine heutige Heimat gefunden hat.
Das „Füreinander“ bei U-Bootbesatzungen ist ein nicht zu beschreibendes Phänomen und wir kennen viele ähnliche Geschichten von in jeder Hinsicht „verschworenen“ Bordgemeinschaften. Im U-Boot Museum haben in den Jahrzehnten seit Kriegsende bis vor wenigen Jahren mehrere hundert Treffen ehemaliger Besatzungen stattgefunden, die Krieg und Gefangenschaft überlebt hatten, an denen oft auch Kinder der U-Bootfahrer teilnahmen. Sie waren immer wieder fasziniert von diesem für sie aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbaren Geist einer in sich geschlossenen Einheit der Bordgemeinschaft. Immer wieder fragten sie mich: „Wie ist das möglich, da seid Ihr vor Jahrzehnten im Krieg unter furchtbaren Umständen und in ständiger Furcht vor Tod und Verwundung an Bord so einer Eisenröhre gewesen – und jetzt trefft Ihr Euch immer noch und strahlt so viel von dem EINSSEIN aus. Allein, um das zu erleben, kommen wir immer wieder gerne mit“.
Ich musste ihnen immer wieder antworten, dass ich keine Erklärung dafür geben könne, obwohl ich selbst in diesem Gemeinschaftsgeist der Kameradschaft lebe und für die Kameraden hier diese Arbeit mache.
Text: Horst Bredow (15.08.2012) – Fotos: Deutsches U-Boot-Museum